Toleranz (Briefe an M. 1.)

Hey M. eigentlich wollte ich dir schon vor etwa zwei Stunden schreiben, aber irgendwie kam mir doch wieder dieses Ding Namens Leben dazwischen. Ich kann dir nicht genau sagen, warum ich dir das erzähle, aber irgendwie drängt es mich doch, das alles aufzuschreiben und deine Meinung dazu zu hören. Man hat mich missverstanden, komplett missverstanden. Waren meine Gedanken wirklich so unsortiert, als dass ich mich nicht ordentlich ausdrücken konnte? Also nicht, dass ich nicht wusste was ich sagen sollte oder keine Worte dafür fand und doch entsprach das, was ich schlussendlich von mir gab keineswegs dem, was ich ursprünglich dachte. Aber Toleranz und Rassismus sind eben auch keine einfachen Themen. Sage mir, wo genau liegt eigentlich die Grenze zwischen Toleranz und Rassismus, wo hört das eine auf und wo beginnt das andere? Toleranz, so ein einfaches Wort und doch so schwierig zu erfüllen. Wäre ich tolerant, wenn neben mir neue Nachbarn mit Migrationshintergrund einziehen würden und ich, einfach aus Freundlichkeit diese näher kennen lernen möchte? Oder bin ich gerade deshalb eben rassistisch, weil ich mich nicht näher mit deren Kultur oder Lebensweise beschäftigt habe, bevor ich zu ihnen an die Haustür ging und klingelte, um mich vorzustellen. Ich würde aus reiner Freundlichkeit und Offenheit, neue Leute kennen zu lernen so handeln, ohne groß über mein eventuelles Fehlverhalten nachzudenken. Dabei könnte ich genau durch dieses Verhalten meine neuen Nachbarn kränken oder gar innerlich verletzten, da sie aus ihrer Kultur eben vielleicht ganz anderen Umgang mit ihren Nachbarn gewöhnt sind. Liege ich also falsch, wenn ich sage ich kann nur jemandem gegenüber wirklich absolut tolerant sein, wenn dieser mir die Chance dazu gibt, ihn kennen zu lernen? Und das ist der Punkt an dem man mich absolut missverstand. Natürlich ist meine Grundauffassung der Toleranz, dass ich tolerant bin , wenn ich jemanden auf der Straße sehe, den ich noch nie zuvor gesehen habe, und mir beim Anblick dieser Person nicht mehr denke, als dass ich denjenigen mir gegenüber so wie ich ihn gerade vor mir sehe akzeptiere, auch wenn ich ihn nicht kenne, und das gänzlich ohne Hintergedanken. Und gerade hier liegt für mich die Schwierigkeit, wie kann ich diese eben so leicht daher geschriebene Aussage über Toleranz wie sie in der Theorie sein sollte in die Tat umsetzen? Hat nicht jeder irgendwo Hintergedanken, wenn er eine fremde Person sieht? Wir werden von der Gesellschaft so weit geprägt, als dass ein Leben ohne Vorurteile gar nicht mehr möglich wäre. Und eben gerade, um diese Vorurteile aus der Welt zu schaffen, müsste man mir doch die Chance geben, meine Mitmenschen kennen zu lernen, als dass ich sie nicht weiter auf Vorurteilen als unfreundlich oder seltsam abstempele, sondern mir ganz allein auf der Persönlichkeit dieser Person ein eigenes, individuelles Bild von ihr machen kann, oder etwa nicht? Diese Ausschweifung ist natürlich nur ein kleiner Gedanken aus der schier unüberblickbaren Weite des Begriffes Toleranz und doch beschäftig mich diese Frage nun schon seit Stunden, wahrscheinlich hat mich gerade die Tatsache dass man mich so missverstand wachgerüttelt, mich gedanklich mit diesem Thema auseinander zu setzten. Weißt du M., dies ist natürlich nur ein einzelnes Beispiel und doch würde mich deine Meinung zu diesem wirklich interessieren, denn es lässt mich einfach nicht los und wird mich wohl auch noch eine Weile weiter beschäftigen.

SPRINGEN, FLIEGEN, FALLEN

(Inspiration: vom Springen, Fliegen und Fallen, CD, Michael Hack)

Jeder Mensch muss sich erst überwinden, um zu springen. Man springt oft im Leben, doch es dauert meistens eine Zeit, bis man es schafft, all seinen Mut zusammen zu nehmen und den Anlauf zu wagen, denn wenn man etwas Neues beginnt, weiß man nie, was danach kommt oder wie es sich entwickelt. Im Leben muss man sich immer wieder etwas trauen, um sich weiter zu entwickeln zu können. Wenn man sich aber zum Sprung aufgerafft hat, dann fliegt man oft ins Ungewisse und verliert während dieses Höhenflugs manchmal das Ziel, weshalb man sich überhaupt zum Fliegen aufgemacht hat aus den Augen. Man denk an andere Sachen, verliert sich im Trubel des Lebens. Jeder Flug ist unterschiedlich, der eine dauert länger, der andere kürzer, je nach Ziel und Umwegen, manche Flüge ziehen sich über Jahre, da man immer wieder von der richtigen Bahn abkommt und Dinge dazwischenschiebt, die einem im Moment wichtiger erscheinen. Fliegen ist allgemein bekannt auch nicht ganz ungefährlich, aber es ist nicht schlimm, jeder fällt im Leben, ohne Ausnahme. Wichtig ist nur, das Fallen zu bemerken und das Leck wieder auszubessern, um den Flug fortsetzen zu können. Manche Flüge enden auch mit einem abrupten Aufprall am Boden. Eine solche Bruchlandung gilt als Warnung, die einen wieder wachrütteln soll. Man soll aufwachen aus all den Verschleierungen und dem Nebel, der um einen herumirrt, durch den man das Ziel gar nicht mehr sehen konnte. Kein Aufprall ist so schlimm, dass man ihn nicht wieder ausmerzen kann oder mit einem neuen, vielleicht anstrengenderen Flug überschreiben kann. Wenn man sich etwas wirklich in den Kopf gesetzt hat, dann kann man es auch schaffen. Man muss es nur versuchen und das möglichst beste geben. Auch aus Bruchlandungen oder Flügen, die sich kreuzen, wobei man sich für einen entscheiden muss, da man als Pilot nicht beide gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen fliegen kann, muss man versuchen das Beste zu machen, auch wenn einer der beiden Flüge dadurch unverhinderlich in einer Bruchlandung endet. Denn jeder einzelne Flug war definitiv den Absprung wert, auch wenn man das zum Landezeitpunkt manchmal noch nicht richtig erkennt, denn irgendwann realisiert man, dass man selbst aus dem schlechteste Flug mit der schnellsten und holprigsten Bruchlandung Erfahrungen gewonnen hat, die einen in seine eigenen Entwicklung voran bringen und zwar mindestens so weit, als dass man diesen Flug in dieser Weise nicht ein zweites Mal starten wird, bevor man nicht grünglich jedes Detail überarbeitet hat, denn wozu ist man denn von der Spezies Mensch, die die Fähigkeit besitz, aus ihren Fehlern zu lernen und den Ehrgeiz irgendwo tief in sich drinnen hat, diese so lange zu bearbeiten, bis er etwas neues, positives daraus gewonnen hat. Das wichtigste beim Fliegen ist jedoch, an sich selbst zu glauben, denn nur, wer an sich glaubt, kann überhaupt erst den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort zum Absprung finden. Nicht jeder Flug muss vorher im Detail durchgeplant sein, denn das Leben bietet viele unvorhersehbare Überraschungen, die man gar nicht planen kann. Der Flug entwickelt sich deshalb erst in der Luft, nur eins sollte man vorher wenigstens grob wissen und zwar den Landepunkt, auf den der Flug zusteuern soll, alles andere ergibt sich mit der Zeit von selbst, solange man sein möglichst Bestes für jeden einzelnen Flug gibt und dabei aber nie die anderen Flüge vergisst. Wenn der erste Flug einer Serie nicht so geklappt hat, wie man es wollte kann man ihn bearbeiten und fliegt so mit der Zeit in jede Richtung immer weiter, bis man das Endziel erreicht hat.

©Julieenjoyslife